59
Welche Sinne fehlen uns, dass wir nicht in der Lage sind, die andere Welt um uns herum wahrzunehmen?
Die Orange-Katholische Bibel
Manche betrachteten die raue Wildnis der Forst-Wachstation als schön, als Wunder der unberührten Natur. Doch Baron Wladimir Harkonnen missfiel es, so weit von sicheren Gebäuden, klaren Winkeln, Metall und Plaz entfernt zu sein. Die kalte Luft roch herb und unangenehm ohne die vertrauten Düfte der Industrie und Technik. Zu ungezähmt, zu feindselig.
Der Baron wusste jedoch um die Bedeutung ihres Vorhabens und unterhielt sich damit, das noch größere Unbehagen seines verderbten Mentaten zu beobachten. Mit verschmutztem Gewand und zerzaustem Haar bemühte sich Piter de Vries, nicht die Fassung zu verlieren. Obwohl sein Geist wie eine hochgezüchtete Maschine funktionierte, war sein Körper mager, verweichlicht und schwach.
»Hier draußen ist alles so primitiv, Baron, so dreckig und kalt«, sagte de Vries mit gehetztem Blick. »Sind Sie sicher, dass wir so weit hinausgehen müssen? Gibt es für uns keine Alternative, als so tief in den Wald vorzudringen?«
»Manche Leute bezahlen viel Geld, um Orte wie diese zu besuchen«, sagte der Baron. »Sie bezeichnen es als Urlaubslandschaft.«
»Piter, halt den Mund und bleib nicht zurück«, sagte Rabban. Sie bestiegen einen steilen Abhang, der zu einer eisüberkrusteten und mit Höhlen durchlöcherten Sandsteinwand hinaufführte.
Stirnrunzelnd revanchierte sich der Mentat für diesen Tadel. »Ist das nicht die Stelle, wo dieser kleine Junge Sie und Ihre gesamte Jagdgruppe zum Narren gehalten hat, Rabban?«
Der Neffe des Barons drehte sich um und starrte de Vries unter den dicken Lidern seiner Augen an. »Das nächste Mal werde ich dich jagen, wenn du deine Zunge nicht zügeln kannst«, knurrte er.
»Den unbezahlbaren Mentaten Ihres Onkels?«, erwiderte de Vries in unbesorgtem Tonfall. »Wie wollen Sie mich ersetzen?«
»Damit hat er allerdings Recht«, stimmte der Baron leise lachend zu.
Rabban murmelte etwas Unverständliches.
Zuvor hatten die Wachen und Jagdexperten des Barons das isolierte Gebiet durchkämmt, damit die drei Männer sich hier ohne ihr ansonsten übliches Gefolge sicher bewegen konnten.
Rabban, der eine Maula-Pistole an der Hüfte und ein Hitzestrahlengewehr über der Schulter trug, behauptete, dass er mit jedem Gaze-Hund oder sonstigen Raubtier fertig wurde, das sie anzugreifen wagte. Der Baron teilte nicht unbedingt die grenzenlose Zuversicht seines Neffen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass er von einem kleinen Jungen hereingelegt worden war. Doch zumindest waren sie hier draußen vor neugierigen Augen sicher.
Oben auf dem Grat ruhten sich die Männer eine Zeit lang aus, dann begannen sie mit dem Abstieg auf der anderen Seite. Rabban führte sie an und schlug dichtes Gestrüpp beiseite, bis sie vor einer weiteren Sandsteinwand standen. Hier öffnete sich ein niedriger schwarzer Spalt, wo die zerbröckelnde Wand auf den Boden stieß.
»Da unten ist es«, sagte Rabban. »Los!«
Der Baron ging in die Knie und leuchtete mit einer Ringlampe in die Höhlenöffnung. »Folge mir, Piter.«
»Ich bin kein Höhlenforscher«, erwiderte der Mentat. »Außerdem bin ich müde.«
»Du bist körperlich einfach nicht genügend trainiert«, gab der Baron zurück und atmete tief ein, um ein Gefühl für seine Muskeln zu bekommen. »Du solltest mehr Sport treiben. Dich fit halten.«
»Aber dafür haben Sie mich nicht gekauft, Baron.«
»Ich habe dich gekauft, damit du alles tust, was ich dir sagte!« Geduckt kroch er in die Öffnung. Der winzige, aber kräftige Strahl der Lampe an seinem Finger stach in die Finsternis.
Obwohl der Baron sich bemühte, seinen Körper in Form zu halten, litt er seit etwa einem Jahr unter Schmerzen und unverhofften Schwächeanfällen. Bislang hatte niemand bemerkt – oder vielleicht hatte es niemand gewagt, die Sprache darauf zu bringen –, dass er außerdem zugenommen hatte, ohne dass er seine Ernährungsweise geändert hätte. Seine Haut wirkte dicker und blasser. Er hatte bereits daran gedacht, sein Problem medizinischen Experten anzuvertrauen, vielleicht sogar einen Suk-Arzt zu konsultieren, auch wenn es mit horrenden Kosten verbunden war. Es schien, dass das Leben aus einer einzigen Verkettung von Schwierigkeiten bestand.
»Hier drinnen riecht es wie nach Bärenpisse«, beklagte sich de Vries, als er sich durch das Loch zwängte.
»Woher willst du wissen, wie Bärenpisse riecht?«, fragte Rabban und stieß den Mentaten tiefer in die Höhle, um Platz für sich selbst zu schaffen.
»Ich rieche Sie. Ein wildes Tier kann kaum einen übleren Gestank verbreiten.«
Drinnen standen die drei Männer auf, und der Baron erhellte einen kleinen Leuchtglobus, der emporschwebte und die hintere Wand der niedrigen Höhle sichtbar werden ließ. Die Felsen waren moosbewachsen oder verstaubt; es gab keine Anzeichen menschlicher Anwesenheit.
»Eine recht gute mimetische Projektion, nicht wahr?«, sagte der Baron. »Eine ausgezeichnete Arbeit unserer Leute.« Er streckte seine mit Ringen bestückte Hand vor, dann wurde das Bild der Felswand unscharf.
Rabban fand einen bestimmten Felsbuckel und drückte dagegen, dann schob sich rumpelnd die gesamte hintere Wand zurück und offenbarte einen Zugangstunnel.
»Ein ganz besonderes Versteck«, sagte der Baron.
Lichter gingen an und erhellten einen Gang, der tiefer in die Klippe führte. Nachdem sie hineingetreten waren und die Projektion wieder aktiviert hatten, blickte sich de Vries erstaunt um. »Das haben Sie sogar vor mir geheim gehalten, Baron?«
»Rabban hat diese Höhle auf einem seiner Jagdzüge gefunden. Wir haben ... einige Modifikationen vorgenommen, mithilfe einer ganz neuen Technik, einer sehr aufregenden Technik. Ich denke, du wirst sofort die Möglichkeiten erkennen, wenn ich dir alles erklärt habe.«
»Ein sehr gutes Versteck«, stimmte der Mentat zu. »Man kann gar nicht vorsichtig genug sein, was Spione betrifft.«
Der Baron hob die Hände zur Decke empor und rief mit voller Stimme: »Ich wünsche dem Kronprinzen Shaddam ein Ende in den Latrinen! Nein – lieber in den Tiefen einer stinkenden, dreckigen, mit kochender Lava gefüllten Höllengrube!«
Selbst De Vries war über diese Lästerungen schockiert. Der Baron kicherte nur. »An diesem Ort, Piter – und nirgendwo sonst auf ganz Giedi Primus – mache ich mir die geringsten Sorgen, dass uns jemand belauschen könnte.«
Er führte sie in die Haupthöhle. »Hier könnten wir drei uns verstecken und uns sogar vor einem Angriff mit illegalen Atomwaffen schützen. Niemand würde uns hier finden. Die Vorräte und Waffen in den Nullentropie-Lagern halten ewig. Ich habe alle Informationen, die für das Haus Harkonnen lebenswichtig sind, hier eingelagert, von genealogischen Aufzeichnungen bis zu wirtschaftlichen Dokumenten und unserem Erpressungsmaterial – all die unangenehmen, faszinierenden Details, die wir über andere Häuser zusammengetragen haben.«
Rabban setzte sich an einen polierten Tisch und drückte auf einen Knopf in einer Konsole. Plötzlich wurden die Wände transparent und enthüllten unter einem gelben Schimmer Leichen in verschiedenen erstarrten Haltungen, insgesamt einundzwanzig, die in den Lücken zwischen den Plazscheiben zur Schau gestellt waren.
»Diese Leute haben das alles hier gebaut«, sagte Rabban. »Wir haben sie mit diesem speziellen ... Denkmal geehrt.«
»Recht pharaonenhaft«, sagte der Baron in unbeschwertem Tonfall.
Die Leichen waren verfärbt und aufgequollen, die Gesichter in makabren Todesfratzen verzerrt. Sie drückten eher traurige Resignation als Angst vor dem drohenden Tod aus. Jeder, der ein solches Geheimversteck für die Harkonnens erbaute, musste zumindest geahnt haben, dass er damit praktisch zum Tode verurteilt war.
»Sie sind ein unangenehmer Anblick, solange sie verwesen«, sagte der Baron, »aber irgendwann können wir hier hübsche, dekorative Skelette bewundern.«
Die übrigen Wände waren mit kunstvoll bemaltem Pergament bedeckt, das den blauen Harkonnen-Greifen zeigte, aber auch pornographische Darstellungen von Menschen, die mit Menschen oder Tieren kopulierten, sowie eine mechanische Uhr, die bei den meisten Betrachtern Abscheu ausgelöst hätte. Rabban studierte sie interessiert und kicherte, weil die männliche und weibliche Geschlechtsteile darstellende Mechanik im ewigen, gleichmäßigen Rhythmus interagierten.
De Vries drehte sich im Kreis, analysierte alle Details und legte sie in seinem Mentaten-Datenspeicher ab.
Der Baron lächelte. »Dieser Raum ist von einem Kraftfeld umgeben, das jedes Objekt auf allen Wellenlängen unsichtbar macht. Kein Scanner könnte dieses Versteck auf optische, akustische, thermale oder selbst taktile Weise registrieren. Deshalb bezeichnen wir es als Nicht-Feld. Wir stehen hier an einem Ort, der gar nicht existiert, was den Rest des Universums betrifft. Es ist das perfekte Ambiente, um unsere ... herrlichen Pläne zu besprechen.«
»Ich habe noch nie von einem solchen Feld gehört – weder von der Gilde noch von Ix«, sagte de Vries. »Wer hat es entwickelt?«
»Du erinnerst dich vielleicht an den Forscher von Richese, der uns ... besucht hat.«
»Chobyn?«, fragte der Mentat, um seine Frage sofort selbst zu beantworten. »Ja, das war sein Name.«
»Er suchte uns heimlich auf, mit einer bahnbrechenden Technik im Gepäck, die auf Richese erfunden wurde. Es ist eine neue und riskante Technik, aber unser Freund Chobyn hatte ihre Möglichkeiten erkannt. Klugerweise hat er sie dem Haus Harkonnen zur exklusiven Verwendung angeboten, sofern wir ihn angemessen entlohnen.«
»Und wir haben ihn zweifellos reichlich entlohnt«, fügte Rabban hinzu.
»Die Technik ist jeden einzelnen Solari wert«, fuhr der Baron fort. Er trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte, wie es seine Gewohnheit war. »Innerhalb dieses Nicht-Feldes kann uns keine Menschenseele hören, nicht einmal ein Gilde-Navigator mit seiner verfluchten Hellseherei. Inzwischen arbeitet Chobyn an etwas, das sogar noch viel besser ist.«
Rabban lehnte sich ungeduldig in seinem Sitz zurück. »Lass uns endlich zum eigentlichen Thema kommen.«
De Vries setzte sich an den selbstreinigenden Tisch. Seine Augen waren hell, als sein Mentatengehirn bereits mit den Möglichkeiten einer Unsichtbarkeitstechnik spielte. Es gab so viele denkbare Verwendungen ...
Der Baron blickte von seinem eher dumpf wirkenden Neffen zum verderbten Mentaten. Welcher Kontrast zwischen diesen beiden herrscht! Sie repräsentieren die Extreme des intellektuellen Spektrums. Sowohl Rabban als auch de Vries mussten ständig überwacht werden, der eine, weil er schwer von Begriff und unbeherrscht war, der andere, weil seine hohe Intelligenz ebenso gefährlich werden konnte.
Trotz seiner offensichtlichen Mängel war Rabban der einzige Harkonnen, der als Nachfolger des Barons in Betracht kam. Abulurd war eindeutig nicht für diesen Posten qualifiziert. Und außer den zwei illegitimen Töchtern, die die Bene Gesserit ihm abgezwungen hatten, besaß der Baron keine eigenen Kinder. Daher musste er seinen Neffen im richtigen Gebrauch und Missbrauch der Macht unterweisen, damit er irgendwann beruhigt sterben konnte, weil er wusste, dass die Tradition des Hauses Harkonnen angemessen fortgesetzt wurde.
Es wäre allerdings viel besser, wenn die Atreides vorher ausgelöscht würden ...
Vielleicht sollte sich Rabban von zwei Mentaten beraten lassen. Aufgrund seines aufbrausenden Temperaments würde seine Herrschaft besonders brutal werden, möglicherweise in einem Ausmaß, wie es Giedi Primus nie zuvor erlebt hatte, auch wenn die Harkonnens auf eine lange Geschichte der Folterung und grausamen Sklavenausbeutung zurückblicken konnten.
Die Miene des Barons verfinsterte sich. »Gut. Also zur Sache. Hört mir genau zu, beide. Piter, ich will, dass du deine vollen Mentaten-Fähigkeiten einsetzt.«
De Vries holte seine kleine Flasche mit Sapho-Saft aus einer Tasche hervor. Er nahm einen Schluck und schmatzte dann auf eine Weise, die der Baron widerlich fand.
»Meine Spione haben mir sehr bestürzende Informationen zugetragen«, sagte der Baron. »Es geht um Ix und gewisse Pläne, die der Imperator kurz vor seinem Tod geschmiedet hat.« Wieder trommelte er mit den Fingern, nach der einfachen Melodie, die ihm ständig durch den Kopf ging. »Sie haben schwere Konsequenzen für das Vermögen unserer Familie. Nicht einmal die MAFEA und die Gilde wissen davon.«
Rabban grunzte. De Vries saß kerzengerade da und wartete auf weitere Daten.
»Wie es scheint, haben der Imperator und die Tleilaxu eine Art Abkommen geschlossen, bei dem es um einen unorthodoxen und höchst illegalen Auftrag geht.«
»Schwürmer und Scheiße passen gut zusammen«, bemerkte Rabban.
Der Baron kicherte über den Vergleich. »Ich habe erfahren, dass unser leider von uns gegangener Imperator persönlich hinter der Invasion von Ix steckte. Er hat das Haus Vernius in die Verbannung getrieben und die Herrschaft der Tleilaxu gefestigt, damit sie mit der Forschung beginnen können, mithilfe hochentwickelter ixianischer Technik.«
»Und was sollen sie erforschen, Baron?«, fragte de Vries.
Jetzt ließ der Baron die Bombe platzen. »Sie suchen nach einer biochemischen Methode, um Melange zu synthetisieren. Sie glauben, sie können ihr eigenes Gewürz herstellen, auf künstliche und billige Weise, um Arrakis – und damit uns – das Monopol zu nehmen.«
Rabban schnaufte. »Unmöglich. Das schafft niemand.«
Aber de Vries hatte diese Information längst mit anderen Daten kombiniert. »Ich würde die Tleilaxu nicht unterschätzen – vor allem wenn sie sich der ixianischen Technik bedienen können. Sie haben alles, was sie für ein solches Vorhaben brauchen.«
Rabban richtete sich auf. »Aber was geschieht mit unseren Gewinnen, wenn der Imperator synthetisches Gewürz herstellen kann? Was ist mit all den geheimen Vorräten, die wir im Laufe der Jahre angelegt haben?«
»Wenn es sich billig und effektiv produzieren lässt, würde sich das Harkonnen-Vermögen in Luft auflösen«, sagte de Vries mit steinerner Miene. »Praktisch über Nacht.«
»Das ist richtig, Piter!« Der Baron schlug mit der beringten Faust auf den Tisch. »Die Gewürzernte auf Arrakis ist unglaublich kostspielig. Wenn der Imperator über eine eigene billige Melangequelle verfügt, wird der Markt zusammenbrechen, und das Haus Corrino wird die Kontrolle über das haben, was übrig bleibt. Das neue Monopol wird ausschließlich in den Händen des Imperators liegen.«
»Das wird der MAFEA nicht gefallen«, sagte Rabban mit verblüffender Weitsicht.
»Dann müssen wir diese Information an die Raumgilde weitergeben«, schlug de Vries vor. »Wir müssen offenlegen, was der Imperator zu tun beabsichtigte, und dafür sorgen, dass Shaddam die Forschung einstellen lässt. Die MAFEA und die Gilde wären ebenfalls nicht daran interessiert, ihre Investitionen in die Gewürzproduktion zu verlieren.«
»Aber was geschieht, wenn Shaddam den Vertrag mit ihnen erneuert, Piter?«, fragte der Baron. »Die MAFEA gehört zu einem großen Teil dem Haus Corrino. Der neue Imperator wird zu Beginn seiner Herrschaft ein Zeichen setzen wollen. Was ist, wenn die MAFEA ihn zwingt, ihr das Gewürz zu einem außergewöhnlichen Rabatt zu überlassen – als Gegenleistung für ihre Kooperation? Die Gilde hätte liebend gerne eine preiswertere und zuverlässigere Quelle. Sie könnte Arrakis ganz aufgeben, wenn die Angelegenheit zu schwierig wird.«
»Dann stehen wir als einzige im Regen«, knurrte Rabban. »Jeder wird auf dem Haus Harkonnen herumtrampeln.«
Der Mentat schloss die Augen zur Hälfte, während er die Analyse des Problems fortsetzte. »Wir können nicht einmal eine offizielle Beschwerde im Landsraad einreichen. Das Wissen um einen Gewürzersatz würde nur Futterneid zwischen den Familien auslösen. Die politischen Bündnisse haben sich in letzter Zeit verschoben, und mehrere Häuser hätten nichts dagegen, wenn unser Monopol gebrochen würde. Ihnen kann es nur recht sein, wenn der Melangepreis ins Bodenlose stürzt. Die einzigen Verlierer wären jene, die sehr viel in die Anlage geheimer und illegaler Vorräte oder in die kostspielige Gewürzernte auf Arrakis investiert haben.«
»Mit anderen Worten: Wir sind wieder die Dummen – und einige unserer engsten Verbündeten«, sagte der Baron.
»Die Bene Gesserit und insbesondere dein spezieller Liebling hätten sicherlich auch sehr gerne eine billige Quelle zur Verfügung.«
Der Baron warf seinem Neffen einen finsteren Blick zu. Rabban lachte nur. »Was können wir also dagegen unternehmen!«
De Vries antwortete, ohne sich zuvor mit dem Baron abzusprechen. »Das Haus Harkonnen muss das Problem ganz allein lösen. Wir können keinerlei Hilfe von außen erwarten.«
»Wir sollten nicht vergessen, dass wir Arrakis nur als Quasi-Lehen besitzen«, sagte der Baron. »Und zwar mit Duldung durch die MAFEA und den Imperator. Das könnte nun zu einem Haken werden, an dem sie uns aufhängen können, bis wir ausgetrocknet sind. Wir müssen äußerst vorsichtig sein.«
»Unsere militärische Schlagkraft ist nicht groß genug, um gegen all diese Feinde zu kämpfen«, sagte Rabban.
»Wir müssen subtil vorgehen«, schlug de Vries vor.
»Subtil?« Der Baron hob erstaunt die Augenbrauen. »Na gut, ich bin bereit, mal etwas ganz Neues auszuprobieren.«
»Wir könnten die Forschungen der Tleilaxu auf Ix sabotieren«, sagte de Vries, »oder sie am besten ganz zum Erliegen bringen. Ich schlage vor, dass das Haus Harkonnen eine Reihe von Vermögenswerten liquidiert, eine größere Bargeldreserve anlegt und so viel Gewinn wie möglich aus der derzeitigen Gewürzproduktion herausschlägt, weil die Geschäfte jeden Moment obsolet werden könnten.«
Der Baron warf Rabban einen Blick zu. »Wir müssen alles herausquetschen, was geht. Ach ja, ich werde deinem Trottel von Vater sagen, dass er die Walpelzgewinnung auf Lankiveil forcieren soll. Wir müssen unsere Kassen vollstopfen. Die bevorstehenden Auseinandersetzungen könnten unsere Reserven ansonsten sehr schnell erschöpfen.«
Der Mentat wischte sich einen roten Tropfen von den Lippen. »All das muss unter größtmöglicher Geheimhaltung organisiert werden. Die MAFEA verfolgt aufmerksam unsere finanziellen Aktivitäten und würde es sofort bemerken, wenn wir uns plötzlich ungewohnt verhalten. Vorerst dürfte es das Beste sein, wenn wir nichts gegen die Tleilaxu-Forschungen unternehmen. Wir wollen schließlich nicht, dass sich die MAFEA oder die Gilde gemeinsam mit unserem neuen Imperator gegen das Haus Harkonnen stellt.«
»Wir müssen dafür sorgen, dass das Imperium von uns abhängig bleibt«, sagte der Baron.
Rabban runzelte die Stirn und versuchte sich mit roher Gewalt durch die Konsequenzen zu kämpfen. »Aber wenn sich die Tleilaxu auf Ix verschanzt haben, wie sollen wir dann ihr Forschungsprojekt zerstören, ohne dass alles ans Licht kommt? Ohne dass wir uns als Drahtzieher offenbaren und all unsere Feinde gegen uns aufbringen?«
De Vries lehnte sich zurück, um die sexuellen Darstellungen an den Wänden zu betrachten. Die verwesenden Leichen hingen wie erwischte Voyeure in den Schaukästen. Als sein Geist die Berechnungen abgeschlossen hatte, sagte er: »Wir brauchen jemand anderen, der für uns kämpft. Am besten, ohne dass er es weiß.«
»Wen?«, fragte Rabban.
»Deshalb haben wir Piter mitgebracht«, sagte der Baron. »Wir brauchen Vorschläge.«
»Der optimale Kandidat«, sagte de Vries, »wäre das Haus Atreides.«
Rabbans Kinnlade klappte herunter. »Die Atreides würden niemals in unserem Auftrag kämpfen.«
De Vries hatte sofort eine Erwiderung parat. »Nach dem Tod des alten Herzogs ist das Haus gegenwärtig sehr instabil. Paulus' Nachfolger Leto ist ein ungestümer Grünschnabel. Er hat keine Freunde im Landsraad, und vor kurzem hat er eine eher peinliche Rede vor dem Gremium gehalten. Er kehrte gedemütigt nach Hause zurück.«
Der Baron wartete ab, worauf sein Mentat hinauswollte.
»Zweiter Faktor: Das Haus Vernius, ein treuer Verbündeter der Atreides, wurde durch die Tleilaxu von Ix verjagt. Auf den immer noch flüchtigen Dominic Vernius wurde ein Kopfgeld ausgesetzt, während Shando Vernius vor kurzem exekutiert wurde. Das Haus Atreides hat den zwei Kindern von Vernius Asyl gewährt. Die Opfer der Tleilaxu sind dicke Freunde von Leto.«
De Vries hob einen Finger, um die Punkte zusammenzufassen. »Der ungestüme junge Herzog hält also fest zum Exil-Prinzen von Ix. Leto Atreides klagt die Tleilaxu wegen der Invasion von Ix, des Todes der Mutter und des Ruins der Familie Vernius an. ›Für das Haus Atreides sind Loyalität und Ehre viel wichtiger als politische Überlegungen‹, sagte Leto vor dem Landsraad. Er sieht es vermutlich als seine Pflicht an, Rhombur Vernius zu helfen, die Macht über Ix zurückzugewinnen. Wer wäre also besser geeignet, für uns einen Schlag gegen die Tleilaxu auszuführen?«
Jetzt lächelte der Baron, als er den Plan verstanden hatte. »Dann ... wird es also zum Krieg zwischen dem Haus Atreides und den Tleilaxu kommen! Sie sollen sich gegenseitig zerfetzen. Auf diese Weise werden gleichzeitig die Atreides und die synthetische Gewürzproduktion vernichtet.«
Rabban hatte offensichtliche Schwierigkeiten, sich das Ganze konkret vorzustellen. Der Baron erkannte an seinem angestrengten Gesichtsausdruck, dass sein Neffe sämtliche Gehirnzellen beanspruchen musste, um ihnen folgen zu können.
Der Mentat nickte. »Wenn wir es geschickt angehen, können wir den Eindruck erwecken, dass das Haus Harkonnen nicht das Geringste mit dieser Auseinandersetzung zu tun hat. Wir bekommen, was wir wollen, aber unsere Hände bleiben völlig sauber.«
»Brillant, Piter! Ich bin froh, dass ich dich nicht bei einer der vielen Gelegenheiten exekutieren ließ, als du mir auf die Nerven gegangen bist.«
»Das sehe ich genauso«, sagte de Vries.
Der Baron öffnete einen Nullentropie-Behälter, um eine Flasche mit teurem Kirana-Brandy herauszuholen. »Darauf müssen wir trinken.« Dann lächelte er verschlagen. »Weil mir nämlich soeben klar geworden ist, wie wir all das in die Wege leiten können.« Jetzt konnte er sich der Aufmerksamkeit seiner beiden Zuhörer gewiss sein.
»Der neue Herzog ist noch völlig mit der Geschäftsführung seines Hauses überfordert. Natürlich wird er an der Krönung von Shaddam IV. teilnehmen. Kein Großes Haus kann es sich leisten, den neuen Padischah-Imperator zu brüskieren, indem es ihn am Tag seines ersten großen Triumphes versetzt.«
De Vries hatte sofort begriffen. »Wenn Herzog Leto zur Krönungszeremonie unterwegs ist ... haben wir die Gelegenheit zum Zuschlagen.«
»Auf Kaitain?«, fragte Rabban.
»Ich vermute eine wesentlich interessantere Alternative«, sagte de Vries.
Der Baron nahm einen Schluck vom süßen alten Brandy. »Ahhh, es wird eine köstliche Rache sein. Und Leto wird völlig ahnungslos sein, wenn der Schlag kommt. Er wird nicht einmal bemerken, aus welcher Richtung er gekommen ist.«
Rabbans Augen erhellten sich. »Wir werden dafür sorgen, dass er sich in Schmerzen windet, Onkel?«
Der Baron schenkte seinem Neffen und dem Mentaten Brandy ein und reichte die kleinen Gläser an sie weiter. Rabban trank seinen Brandy in einem Zug aus, während de Vries nur darauf starrte, als wollte er mithilfe seiner Augen eine chemische Analyse durchführen.
»Ja, Rabban. Er wird sich solange winden, bis er von einem kaiserlichen Stiefel zertreten wird.«